Klaus Miesenberger ist Universitätsprofessor für Informatik an der Universität Linz und Leiter des Instituts „integriert studieren“. Er lehrt und forscht in den Bereichen barrierefreie Web- und Softwareentwicklung, Mensch-Maschine Kommunikation und Assistierende Technologien.
Woran arbeiten Sie zur Zeit?
Ich forsche derzeit an einem System, das es Menschen mit kognitiven Behinderungen erlaubt, digitale Information im Original zu lesen und durch Erkennen (Tracking), was Lesende nicht verstehen oder wo sie Probleme haben, am Original personalisierte Unterstützung anzubieten (z.B. Annotation mit Symbolen, Bildern, Videos, Übersetzung in „easy to read“, „plain language“ oder Symbolsprachen, Sprachausgabe, Layoutanpassung. Das Projekt trägt den Namen EasyReading, es ist ein EU-H2020 gefördertes Projekt, das wir initiiert haben und koordinieren.
Was ist für Sie Informatik?
Informatik ist das Werkzeug einer umfassenden Transformation aller Bereiche der Lebenswelt. Es ist die Basis einer sozialen Genesis, einer Um- und Neugestaltung aller Lebensbereiche, mit allen Chancen und Risiken, die so eine Umbruch mit sich bringt.
Was sind für Sie Herausforderungen der Gegenwart, bei denen Informatik helfen kann?
Gegenfrage: Bei welcher Herausforderung kann Informatik nicht helfen? Das macht die Liste viel kürzer, wahrscheinlich extrem kurz.
Was haben Sie in der Auseinandersetzung mit Informatik gelernt?
Die Informatik lehrt einen, von der Realität zu abstrahieren, zu modellieren und Lösungen zu finden, die man mit effizienten Werkzeugen auf die Realität wieder anwenden kann. Das hilft, um etwas besser zu verstehen, was die Welt vielleicht „im Innersten zusammen hält“ und in Bereichen Schritt für Schritt besser begreifbar und gestaltbar zu machen. Oder ist es doch nur unser eigenes Konstrukt, das wir der Welt überstülpen und von dem wir glauben, es sei die Realität?
Warum sollten sich StudentInnen für Informatik entscheiden?
Jede Wissenschaft basiert auf Neugier und dem Wunsch zu verstehen. Informatik ist Werkzeug für den Umgang mit Information und Wissen, um die Neugier befriedigen zu können. Sie ist neue Kulturtechnik und Basistechnologie für alle Wissenschaften. Wo immer man seinen Platz in Wissenschaft oder Gesellschaft findet, mit fundiertem Wissen in der Informatik hat man solide Voraussetzungen.
Gute Studierende macht aus, dass sie neugierig, sehr kritisch und kreativ sind, nicht bloß auf die unimittelbar verwertbare Anwendung schauen (nicht „FH“), sondern sich auf den Gesamtzkontext, die Reflexion und die Weiterentwicklung der Fundamente der Informatik hin ausrichten.
Was fehlt der Informatik in Österreich?
Mut zur Unabhängigkeit und zu Neuem. Wir laufen oft viel zu sehr den Buzzwords und Trends hinterher, die eigentlich schon in der Praxis angekommen sind. Wir tendieren zur verlängerten Werkbank anstatt Richtung, Reflexion und Ideen vorzugeben. Wir müssen viel zu sehr dem nachgehen, was nationale und internationale politisch orientierte „Förderstellen“ für richtig halten. Es mangelt an Ressourcen für freie, kreative und querdenkende Forschung.